Vorwort von Gerd Binnig


Im 20. Jahrhundert wurden die Grundlagen für eine Entwicklung gelegt, die wir heute noch nicht richtig fassen können, deren ungeheure Bedeutung wir aber bereits erahnen. Der Mensch ist in diesem Moment Zeitzeuge und Gestalter einer zweiten Genesis, einer grundlegend neuen Evolution von materiellen Strukturen, die wir heute noch nicht einmal richtig benennen können. Wir wissen aber, dass wir an dieser epochalen Schwelle stehen und zwar genau deshalb, weil wir Strukturen zunehmend feiner und raffinierter beobachten und gestalten können und zwar bis in den atomaren Bereich hinein. Dies nennen wir Nanowissenschaft und wenn es in Produkte mündet – Nanotechnologie.

Damit Nanotechnologie gelingt, müssen sich die Wissenschaften wieder vereinen. Die Anfänge dazu sind bereits klar sichtbar. In der Nanowissenschaft begegnen sich Chemiker, Biologen, Mediziner und Informatiker bereits heute viel intensiver als in in irgendeinem anderen Bereich. Andere Wissenschaften, auch geisteswissenschaftliche Bereiche, werden später dazukommen. Durch die Entdeckung der Gene und Proteine – also durch den beginnenden Einblick in den Nanokosmos der belebten Natur – sind vor allem die Biologen nach den Physikern und Chemikern sehr intensiv mit Prozessen auf der Nanometerskala beschäftigt. Nanowissenschaftler arbeiten eng mit Biologen zusammen. Hier begegnet die künstliche der natürlichen Nanotechnologie, dem Resultat der ersten Genesis, der Evolution des Lebens und der Intelligenz.

Auf dem nicht geplanten Weg zur Nanotechnologie lag die Mikrotechnologie, die den Computer gebar und damit eine neue Wissenschaft: die Informatik. Der Mensch begann, auf eine neue Art über Dinge wie Intelligenz, Kreativität und Emotion nachzudenken. Er konnte nun nicht nur Denkmodelle entwerfen, sondern sie sogar mit intelligenten Maschinen überprüfen. Er konnte sogar Maschinen bauen, die den besten Schachspieler der Welt schlagen konnten. Damit die Nano-Strukturen wie oben erwähnt auch wirklich raffiniert sein werden, braucht es die Informatik, vor allem Simulationen von den Funktionen der Nanostrukturen. Und die Informatik braucht die Nanotechnologie, um noch schnellere billigere und intelligentere Computer bzw. „Nanochips“ zur Verfügung zu haben. Auch die Nanobiologie braucht die Informatik. Sonst wird man nie dieses monströse Wechselwirkungsnetzwerk der Gene und Proteine verstehen. Und die Informatik braucht die Nanobiologie, denn von der kann man lernen, wie man in einer einzigen Zelle eine solch geballte Form von Intelligenz unterbringt. Die Informatik braucht zudem die Gehirnforschung (z.T. ebenfalls Nanobiologie), um daraus zu lernen.

Begonnen hat alles aber bereits Anfang des 20. Jahrhunderts mit etwas, das bisher vor der Öffentlichkeit fast geheim gehalten wurde: mit der Entwicklung der Quantenmechanik. Sie beschreibt den Nanokosmos und macht ihn folglich auch gestaltbar. Sie bildet die Grundlage für fast alle bedeutenden technischen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts. Sie ermöglichte die Mikrotechnologie und damit den Computer; und als Folge daraus schliesslich eine neue Wissenschaft; die Informatik. Die Quantenmechanik bewirkte den Übergang der Biologie, Medizin und Chemie als verschiedene Arten von Kunst in harte Wissenschaften. Die Mikrotechnologie und die heutige Biologie und Chemie sind ohne Quantenmechanik undenkbar, denn die Musik spielt – in der Chemie sowieso, aber auch in den beiden anderen Bereichen – vorwiegend im Nanokosmos, der von der Quantenmechanik beschrieben wird.

Mit Hilfe von Lichtmikroskopen konnte man schon lange den Mikrokosmos beobachten, aber erst mit dem Elektronenmikroskop, erfunden von Ernst Ruska einige Jahre nach der Einführung der Quantenmechanik, war der Zugang in den Nanokosmos zugänglich. Für die Beobachtung einzelner Atome ist man jedoch mit dem Problem konfrontiert, dass die Elektronen im Elektronenstrahl eine so hohe Energie besitzen, dass sie tief in die Materie eindringen und somit viele Atome abbilden. Deshalb war ein wichtiger Schritt zur Nanotechnologie später die Erfindungen von Rastertunnel- und Kraft-Mikroskop. Die Natur entwickelte vorwiegend aus den kleinsten Bausteinen von Materialien, nämlich den Atomen, in einem „bottom up approach“ komplexere grössere Strukturen wie Lebewesen. Nun war man für einen künstlichen „bottom up approach“ beim „bottom“ angekommen. Man konnte nun die atomaren Strukturen anschauen und die Atome berühren. Die Atome waren greifbar, fassbar und damit auch etwas begreifbarer geworden. Man konnte Atome und Moleküle verschieben, manche gezielt lokal hinzufügen oder entfernen. Man konnte die Farbe der Atome „sehen“.
Rastertunnel-, Kraft- und Elektronenmikroskop sind heute Schlüsseltechnologien in der Nanotechnologie, aber auch neue optische Verfahren sind vielversprechend.

Das vorliegende Buch gibt einen wunderbaren Einblick in die heutige Nanotechnologie und -wissenschaft. Es ist das erste Buch seiner Art, und es braucht sicher Mut, „den ersten Schritt“ zu tun. Populärwissenschaftliche Bücher eines neuen Gebietes werden in der Regel erstmals in den USA geschrieben und verlegt. Mich freut es sehr, dass einer aus dem alten Europa mutig genug war.

Das Buch ist äusserst phantasievoll, anschaulich und spannend geschrieben, und es war ein grosses Vergnügen es zu lesen. Auch die Grundzüge der Quantenmechanik werden nicht verheimlicht, sonder sehr plastisch dargestellt. Man spürt im gesamten Buch die Aufbruchsstimmung, die mit der Nanotechnologie einhergeht. Das Buch spiegelt voll die Begeisterung wieder, mit der die Nanotechnologen ihrer Arbeit – oder besser: ihrem Vergnügen – nachgehen.


Gerd Binnig erfand mit Heinrich Rohrer bei IBM das Rastertunnelmikroskop, das erste echte Nanowerkzeug. Beide bekamen dafür 1986 den Physiknobelpreis (zurück zum Seitenanfang).


Buch


Intro
Vorwort von Gerd Binnig
Inhalt
Leseproben
Nachwort 2006
Literaturverzeichnis
Über den Autor

Taschenbuchausgabe 2006
Rowohlt
ISBN: 3-499-62098-7

Gebundene Ausgabe 2004
Rowohl Berlin
ISBN: 3-87134-488-5
Sach- und Personenregister

Italienische Ausgabe 2005
Orme Editori
übersetzt von Cristina Lombardo
ISBN: 88-88774-27-0


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