Was ist Nanotechnologie? Was ist Nanotechnik?

Die gängige Definition, die derzeit in der Nano-Community gilt, lautet:

Nanotechnologie ist die Manipulation und Nutzung von Objekten und Strukturen, die kleiner als 100 Nanometer sind.

Diese Definition bezieht sich aber nur auf den Objektbereich. Sinnvoller ist es, Nanotechnologie in einem technikgeschichtlichen Rahmen zu verstehen und von Nanotechnik zu sprechen.

Nanotechnik ist eine neue Stufe von Technik im Allgemeinen, in der zahlreiche, auch ältere Technologien mit ihren Verfahren bewusst und in zunehmendem Maße Objekte auf einer Größenskala manipulieren und nutzen, auf der sich Quanteneffekte auswirken, die im Mikro- und Makrokosmos keine Rolle spielen. Nanotechnik ist hier also die Gesamtheit aller Nanotechnologien, deren Zusammenspiel dabei herkömmliche Disziplingrenzen überschreitet.

Mit dieser Definition wird zum einen der sinnlose Streit vermieden, ob es sich bei bestimmten Nanotechnologien nur um eine modische Umetikettierung handelt, zum anderen dem im Deutschen korrekten Gebrauch der Begriffe „Technik“ und „Technologie“ Rechnung getragen (siehe dazu auch meinen Kommentar „Nano-wie?“).

Siehe auch die Definitionen von BMBF (D), Royal Society and Academy of Engineering (GB) und National Nanotechnology Initiative (USA).

Zwei sehr interessante von dieser technikorientierten Betrachtung abweichende Deutungen liefern Alfred Nordmann und Joscha Wullweber.

Nordmann sieht "Nanotechnologie" eher als eine Art, die Forschung zu organisieren, denn als reale Disziplin:
"Nanotechnologie ist ein gesellschaftliches Konstrukt" (Interview mit Alfred Nordmann, November 2007).

Wullweber hingegen geht so weit, "Nanotechnologie" als Mythos und kapitalistisches Inwertsetzungsprogramm zu begreifen, dem ein wirklich eigenständiger technischer Charakter eigentlich fehlt:
"Der Mythos Nanotechnologie. Die Entstehung und Durchsetzung einer neuen Inwertsetzungstechnologie"


Was ist das Besondere an Nanotechnik?
Wodurch unterscheidet sie sich von bisheriger Technik?

Nanotechnik hat einen Subtext, der nur in den Arbeiten des Drexler-Lagers explizit wird: Materie soll auf der Ebene ihrer Bausteine präzise kontrollierbar und maximal programmierbar werden. Damit unterscheidet sie sich von historischen Nanotechnologien, in denen Nanoeffekte zufällig und ohne wissenschaftliche Grundlage ausgenutzt wurden (zwei häufig angeführte Beispiele sind Kirchenfenster des Mittelalters, die ihre Färbung im Glas enthaltenen Nanopartikeln verdankten, und japanische Samurai-Schwerter, deren Stahl durch Kohlenstoffnanopartikel seine besondere Härte bekam).

Nanotechnik ist darüberhinaus von einem Verschwinden der Grenze zwischen belebter und unbelebter Materie gekennzeichnet. Zellbestandteile werden als biologische Nanomaschinen aufgefasst, deren Manipulation sich nicht mehr von der Manipulation nichtbiologischer Materie unterscheidet. Die biologische Selbstorganisation wird nicht mehr von der physikalischen oder chemischen Selbstorganisation unterschieden. Leben zerfällt in seine Bausteine. In diesem Sinne kann man Nanotechnik auch als letzte Stufe des naturwissenschaftlichen Reduktionismus sehen.

Für eine Gegenüberstellung von Nano- und herkömmlichen Werkzeugen siehe auch „Nano vs. Makro – ein Werkzeugvergleich“.


Welche Nanoeffekte werden in der Nanotechnik ausgenutzt?

Man kann die Nanoeffekte grob in zwei Arten unterteilen: solche, die auf der geringen Größe von Nanoobjekten beruhen, und quantenphysikalische Effekte.

Größeneffekte: Bei Nanoteilchen, die nur aus einigen hundert bis tausend Atomen bestehen, ist das Verhältnis von Oberflächen- zu Innenatomen viel größer als etwa bei Mikrometer großen Teilchen. Eine Folge: Der Schmelzpunkt metallischer Nanopulver liegt einige hundert Grad niedriger als bei herkömmlichen Pulvern. Weil die Gesamtoberfläche einer Menge von Nanopartikeln viel größer ist als bei einem Haufen von Mikropartikeln, sind sie hocheffiziente Katalysatoren und können, etwa in Sonnencremes, mehr UV-Licht absorbieren. In Glas verteilte Goldnanoteilchen führen über den Effekt der „Plasmonen-Resonanz“ zu einer Verfärbung desselben – die Farbe hängt dabei nur von der Teilchengröße ab.

Quantenphysikalische Effekte: Der bekannteste ist der „Tunnel-Effekt“, bei dem Elektronen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Barrieren wie etwa das Vakuum zwischen einer Metalloberfläche und der Spitze eines Rastertunnelmikroskops überwinden können. Aus diesem „Tunnelstrom“ lässt sich dann das atomare Höhenprofil der Oberfläche – wie eine topographische Landkarte im Nanoformat – errechnen. Magnetische Schichten wiederum zeigen, wenn sie durch eine nur wenige Nanometer dicke Schicht getrennt sind, den quantenmechanischen Effekt des „Riesenmagnetwiderstandes“. Seine Nutzung in den Schreibleseköpfen von Computerfestplatten hat in den vergangenen zehn Jahren erst die drastische Steigerung der Speicherkapazität ermöglicht.


Wie alt ist die Nanotechnik?
Wo liegen die Anfänge?

Die Entwicklung der Technik zur Nanotechnik vollzieht sich seit einigen Jahrzehnten. Ein konkreter Anfangspunkt lässt sich nicht ausmachen, vielmehr haben Kolloidchemie, Molekularbiologie und Teilchenphysik die Entwicklung ab Mitte des 20. Jahrhunderts beschleunigt.


Woher kommt der Begriff „Nanotechnologie“/“Nanotechnik“?

Der englische Begriff „Nanotechnology“ ist erst auf halber Strecke geprägt worden. Von dem japanischen Ingenieur Norio Taniguchi 1974 erstmals als bloße Extrapolation der Mikrotechnik in die nächstkleinere Skala des metrischen Systems verwendet, taucht er erst Mitte der 1980er Jahre häufiger auf.

Eric Drexler, der als einer der ersten die Möglichkeit einer Nanotechnik beschrieben hat, verwendet ihn in seinem 1981 beschriebenen Paper „An approach to the development of general capabilities for molecular manipulation“ noch nicht.

Drexler bezieht sich in diesem Aufsatz jedoch explizit auf Richard Feynmans 1959 gehaltene Rede „There’s plenty of room at the bottom“, die später zum Gründungsakt der Nanotechnik umgedeutet wurde. Nach Aussage von Gerd Binnig, einem der beiden Erfinder des Rastertunnelmikroskops, des ersten echten Nanowerkzeuges, war diese Rede Anfang der 1980er Jahre in der wissenschaftlichen Gemeinde weitgehend in Vergessenheit geraten.

Der Begriff „Nanotechnology“ wird spätestens in Drexlers 1986 erschienenem Buch „Engines of Creation“ konsequent – und bei ihm synonym für „Molecular Manufacturing“ – verwendet. Wann weitere Forscher ihn in diesen Jahren benutzen, um die Neuheit ihrer jeweiligen Technologiekonzepte zu beschreiben, lässt sich bislang nicht genau rekonstruieren.

In den 1990er Jahren wandelt sich der Begriff dann zu einem allgemeinen Innovationsparadigma, dass die systematische Erschließung eines bislang ungenutzten Raumes beschreibt. In diesem Sinne könnte man Nanotechnologie auch als kapitalistische Erschließung des Quantenraums bezeichnen, die neue Möglichkeiten für den systemimmanenten Wachstumszwang eröffnet, der in vielen Sphären bereits an Grenzen gestoßen ist oder diese in naher Zukunft erreichen wird (wie etwa in der Silizium-Computertechnik, die auf dem mit „Moore’sches Gesetz“ beschriebenen Wachstumspfad in etwa zehn Jahren auf physikalische Grenzen treffen wird).

Das erklärt auch, warum – anders als in der Phase der „New Economy“, als der „Cyberspace“, also der Informationsraum erschlossen wurde – Konzerne aus älteren Industriezweigen nicht abseits stehen, sondern diese Entwicklung maßgeblich forcieren.


Ist Nanotechnik gefährlich?

Die meisten Anwendungen der Nanotechnik kann man als ungefährlich einstufen. Die Risikoforschung unterscheidet zudem zwischen Risiko und Gefahr. Risiko meint dabei die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gefährdung für Menschen und andere Lebewesen wirksam wird. Dies hängt davon ab, in welchem Maße Menschen und andere Lebewesen einer nanotechnischen Anwendung unmittelbar ausgesetzt sind (der Fachausdruck hierfür lautet „Exposition“). Das lässt sich in einem einfachen Zusammenhang ausdrücken:

Risiko = Exposition x Gefährdung

Um einen besseren Überblick über potenzielle Nanorisiken zu gewinnen, habe ich drei Risikoklassen vorgeschlagen:

1. Isolierte Nanotechnik (Contained Nanotechnology)

Der größte Teil der gegenwärtigen Nanotechnologien besteht aus Strukturen, in denen die Nanokomponente fest eingebettet und damit von der Umwelt isoliert ist. Dazu zählen Nanowerkzeuge wie die Rastersondenmikroskope, Nanoelektronik, Nanosensoren oder die Beschichtungen der chemischen Nanotechnologie.

Unklar ist bislang, was passiert, wenn diese Systeme und Materialien entsorgt werden.

2. Bioaktive Nanotechnik (Bio-active Nanotechnology)

Ein potenzielles Risiko stellen nach ersten toxikologischen Untersuchungen freie, künstlich hergestellte Nanoteilchen (Nanopartikel) dar. Gelangen sie in Organismen, können sie Gewebebarrieren wie die Blut-Hirn-Schranke passieren und Zellen schädigen – also bioaktiv werden.

Freie Nanopartikel treten derzeit nur in Laboren und Fertigungsstätten auf. Einige Kritiker warnen vor möglichen Nebenwirkungen von Nanopartikeln in Kosmetikprodukten, Lebensmitteln und Textilien, weil diese mit der Haut oder inneren Organen in Kontakt kommen. Reale Gefahren sind bislang aber nicht festgestellt worden.

Von dieser unabsichtlich bioaktiven Nanotechnik kann man die absichtlich bioaktive Nanotechnik der Nanomedizin unterscheiden: Sie versucht bewusst, neuartige Nanoobjekte als Medikamentenfähren oder Diagnosewerkzeuge im Körper zu nutzen. Experten aus der Konfliktforschung und Rüstungskontrollforschung halten es für denkbar, dass nanomedizinische Anwendungen für neue biologische Waffen – man könnte auch von „Nano-B-Waffen“ sprechen – missbraucht werden könnten. Bislang ist aber kein Konzept in dieser Richtung bekannt.

3. Disruptive Nanotechnik (Disruptive Nanotechnology)

Eine eigene Klasse stellen autonom agierende Nanosysteme dar, die man auch als künstliche oder zumindest nanotechnisch veränderte Mikroorganismen bezeichnen könnte.

Dazu kann man künstliche Viren oder Bakterien ebenso zählen wie die bisher nicht realisierten „Nanoroboter“ („Assembler“), die Eric Drexler erstmals 1986 vorgeschlagen hat. Ihr Einsatz könnte, wie einige Nanotech-Kritiker und –Forscher vermuten, weitreichende Folgen für Lebewesen und Ökosysteme haben.

Für Beunruhigung hat immer wieder das „Grey-Goo-Szenario“ gesorgt, in dem Nanoroboter außer Kontrolle geraten und weiträumig Biomasse, also Menschen, Tiere und Pflanzen, zersetzen würden. Für eine theoretische Abschätzung siehe auch Robert Freitas’ Aufsatz „Some Limits to Global Ecophagy by Biovorous Nanoreplicators, with Public Policy Recommendations“.

Diese Risikoklasse ist bislang allerdings rein hypothetisch, weil es entsprechende autonom agierende Nanosysteme noch nicht gibt.

Für einen ausführlicheren Überblick siehe auch mein Artikel „Die Risiken der Nanotechnik“.


Sind Nanoroboter möglich oder reine Sciencefiction?

Nanoroboter, auch "Assembler" genannt, wurden 1986 von Eric Drexler vorgeschlagen. Eine Zusammenfassung des Konzepts gibt es in meinem Text "Materieschmiede" (mit einem Interview mit Eric Drexler zum Stand der Dinge).

Die meisten Wissenschaftler und Ingenieure gehen davon aus, dass Nanoroboter nicht realisierbar sind. Eine systematische Analyse der Probleme beim Bau von Nanorobotern oder auch nur Bauteilen von diesen hat der britische Physiker Richard Jones vorgenommen.

„Die Maschinenteile sind im Wesentlichen Molekülhaufen mit seltsamen und sehr speziellen Formen“, sagt Jones. Wegen der unnatürlichen Anordnung ihrer Atome seien die aber in sich chemisch instabil. Und weil die Maschinenteile so klein sind, bestehen sie vor allem aus Oberflächenatomen. Die könnten sich aber in unvorhergesehener Weise mit anderen Atomen benachbarter Teile verbinden und dadurch unbrauchbar werden. Hinzu kommt, dass bei Zimmertemperatur die Atome in permanenter Bewegung sind, so dass die Maschinenteile nicht mehr fest wie ein Baukran sind, sondern eher eine Konsistenz wie Wackelpeter haben. Ein weiteres Problem: „Die Nanomaschinen benötigen ein Ultrahochvakuum, um zu funktionieren“, sagt Jones. Schon ein, zwei Fremdatome könnten hier denselben Effekt haben wie der sprichwörtliche Sand im Getriebe.

Einige Forscher wie Robert Freitas oder Ralph Merkle sind aber nach wie vor von der Machbarkeit von Nanorobotern überzeugt. Ein detailliertes Forschungsprogramm haben sie auf der Nanofactory-Collaboration-Website vorgestellt.


NanoFAQ


Was ist Nanotechnologie? Was ist Nanotechnik?

Was ist das Besondere an Nanotechnik? Wodurch unterscheidet sie sich von bisheriger Technik?

Welche Nanoeffekte werden in der Nanotechnik ausgenutzt?

Wie alt ist Nanotechnik? Wo liegen die Anfänge?

Woher kommt der Begriff "Nanotechnologie"/
"Nanotechnik"?


Ist Nanotechnik gefährlich?

Sind Nanoroboter machbar oder reine Sciencefiction?


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